Amori che non sanno stare al mondo
Francesca Comencini, Italy, 2017o
Claudia and Flavio have been passionately in love for many years. But now, they are starting to grow exhausted by the constant turbulences within their relationship. But while Flavio is already imaging a new and different future for himself, Claudia is still valiantly resisting the ultimate breakup of their relationship.
Francesca Comencini, die Tochter des bekannten italienischen Regisseurs Luigi Comencini, präsentiert ihre Hauptfigur nicht als Verzweifelte, sondern als Kriegerin. Diese will nicht unbedingt den Mann zurückgewinnen, aber die Idee der grossen Liebe bewahren. Daraus wird eine Achterbahnfahrt, manchmal an der Grenze zur Hysterie, dann wieder poetisch und nostalgisch. Aber immer sehr pointiert.
Matthias LerfGalleryo
Lustig, aber wahr: Regisseurin Francesca Comencini präsentiert in ihrem neuen Film eine Frau, die niemals aufgibt: «Amori che non sanno stare al mondo».
Klar kennen wir das. Claudia steht vor dem Kioskmann, der ihr eine Prepaidkarte verkauft hat. «Empfange ich keine SMS mehr, wenn mein Guthaben aufgebraucht ist?», will sie wissen. «Doch, doch», sagt er. Darauf sie: «Dann ist mein Telefon defekt, ich habe gestern 28 Nachrichten verschickt und keine Antwort erhalten.»
Der Mann, dem sie die Nachrichten schickt, hat sich längst von ihr verabschiedet. Aber Claudia will das nicht wahrhaben. Wenn er sagt «lieber tot als wieder mit dir zusammen» wertet sie das als klare Liebeserklärung: Ist doch selbstverständlich, dass er eigentlich zu ihr zurückkehren will, aber in seinem männlichen Stolz nicht zugeben kann, wie es um seine wahren Gefühle steht.
«Vorsicht, es geht nicht um den Mann, es geht um die Liebe», sagt Francesca Comencini, die diese Frau erfunden hat. Claudias Ziel sei im Grunde genommen nicht die Rückeroberung, sie wolle einfach verstehen und sich nichts entgehen lassen in Sachen Liebe. Ganz wichtig: «Sie ist kein Opfer, sie ist eine Kriegerin.»
Tochter des «Heidi»-Regisseurs mit Schweizer Wurzeln
Francesca Comencini trägt als Regisseurin einen bekannten Namen. Sie ist die Tochter von Luigi Comencini (1916–2007), der in Italien mit den «Pane, amore . . .»-Filmen mit Gina Lollobrigida bekannt wurde und mit allen Grössen jener Zeit drehte: Sophia Loren, Claudia Cardinale, Vittorio Gassman. Er hat aber auch in der Schweiz gearbeitet und 1952 «Heidi» mit Alpöhi Heinrich Gretler realisiert. Das war kein Zufall. «Meine Grossmuter stammt aus Rapperswil, als ich klein war, bin ich dorthin in die Ferien gefahren», erzählt Francesca Comencini.
Letztes Jahr ist die 56-Jährige ans Festival von Locarno gekommen, wo «Amori» auf der Piazza lief. Der Film kam bestens an, weil er eben nichts von der Verbissenheit hat, die man einer Kriegerin nachsagen könnte. «Claudia hat keine Angst, sich lächerlich zu machen», sagt die Regisseurin, «für mich ist sie eine Art Don Quijote, unermüdlich, verblendet, aber tief im Herzen wahrhaftig.»
Und eben, Züge dieser Claudia kennen wir alle. Ist die Geschichte autobiografisch, Frau Comencini? «Sie ist auf jeden Fall sehr persönlich», sagt sie. Bei ihr sei eine Liebe zu Ende gegangen, sie habe daraufhin mit Notizen begonnen, innere Stimmen aufgeschrieben, «ich war in furioser Stimmung». Die Notizen zeigte sie ihrer Produktionsfirma Fandango mit dem Ziel, einen Kinospielfilm zu machen. Fandango sei jedoch so begeistert gewesen, dass die Firma, die auch einen Verlag hat, die Notizen als Buch herausgegeben hat, das in Italien zum Bestseller wurde. Anschliessend arbeitete Comencini diese Vorlage zum Drehbuch um und inszenierte sie mit der grossartigen Lucia Mascino in der Hauptrolle.
Gleichzeitig inszenierte sie die dritte Staffel von «Gomorrha»
«Es geht um die Liebe, aber bereits beim Schreiben habe ich gemerkt, dass es auch eine politische Geschichte ist», sagt Comencini. Inwiefern? «Weil wir die Codes zum Zusammenleben nicht mehr haben. Wir Frauen sind freier als früher, die Männer haben Mühe, sich an die neuen Kräfteverhältnisse zu gewöhnen. Das ist Politik.» Die Regisseurin zeigt das mithilfe ihrer Claudia in manchmal fast hysterischen Szenen. Dann wieder in nostalgisch zärtlichen Aufnahmen. Aber immer äusserst pointiert.
Die Komödie «Amori» ist nicht das Einzige, was man von Francesca Comencini gegenwärtig sehen kann. Fertiggestellt hat sie fast gleichzeitig die 3. Staffel der hochgelobten Krimiserie «Gomorrha» nach Roberto Saviano, für die sie die Hälfte der Episoden inszenierte. «Ich schätze diese Form des Erzählens, bei der man viel mehr Zeit hat als im Kino, aber trotzdem äusserst präzise und schnell arbeiten muss», sagt sie.
Francesca ist übrigens nicht die einzige Comencini, die in Italien Filme dreht. Auch ihre ältere Schwester Cristina ist Regisseurin, war mit «La bestia nel cuore» 2006 gar für den Ausland-Oscar nominiert. Die beiden treffen sich oft. «Über das Kino sprechen wir dabei allerdings nie», sagt Francesca, «wir unterhalten uns über die Kinder, den Alltag, normale Dinge eben.» Und über die Liebe? «Über die selbstverständlich auch.»