Vermiglio
Maura Delpero, Italy, France, Belgium, 2024o
1944, Vermiglio, a remote mountain village. The arrival of Pietro, a deserter, into the family of the local teacher, and his love for the teacher's eldest daughter, will change the course of everyone's life.
Wer sich noch mit Wehmut an Ermanno Olmis L'albero degli zoccoli erfinnert, die Goldene Palme von Cannes 1978, wird sich bei Vermiglio, 2024 prämiert mit dem Jurypreis in Venedig, schnell wie zu Hause fühlen – eine wunderschöne Familien- und Dorfchronik, die eine ganze verschwundene Welt wiederaufleben lässt. So wie Olmi uns in die lombardische Landschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts versetzte, lässt Maura Delpero, die vom Dokumentarfilm kommt, die Berge des Trentino während des Zweiten Weltkriegs wiederaufleben, inspiriert von den Erzählungen ihrer Grossmütter. Sie poprträtiert die Familie des Dorflehrers im abgelegenen Vermiglio, wobei die Perspektive leicht auf die Frauen verlagert ist. Die Lehrersfrau ist regelmäßig schwanger, doch nicht alle Kinder überleben. Die Handlung dreht sich vor allem um ihre drei Töchter: Im Jahr 1944 verliebt sich die älteste, Lucia, in einen sizilianischen Deserteur, der zusammen mit einem Jungen aus dem Dorf dort gelandet ist, während Ada gegen ihre Zuneigung zu einer schöneren und freieren Freundin ankämpft und die kleine Flavia bereits neugierig auf alles ist. Mehr nicht, und das ist auch genug. Denn wie bei Olmi geht es vor allem um Beobachtung – oder, da es sich um eine Fiktion handelt, um Stil. In einer Art neu interpretiertem Neorealismus wird die Realität fast greifbar und dennoch poetisiert. Die Bilder sind wunderschön, aber ohne Prunk; der Feminismus ist diskret, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Und umso intensiver ist das Gefühl, das einen angesichts dieser Beschwörung einer vergangenen Welt überkommt, die einfacher und doch viel härter war. Man wird sich bewusst, was man gewonnen und verloren hat. Aber auch, was in einem Schicksal von der Gesellschaft abhängt, in die man das Glück oder das Pech hat, hineingeboren zu werden. Von Anfang bis Ende ein seltener Zauber.
Norbert CreutzGalleryo





