Dene wos guet geit
Cyril Schäublin, Switzerland, 2017o
Alice works in a call center on the outskirts of Zurich, selling internet subscriptions and insurance deals. After work, she walks through the city, where everything seems to function without any friction. Inspired by her job, Alice starts calling elderly women who live alone, pretending to be their granddaughter in urgent need of money. In this way, she quickly makes a fortune – and the film starts to observe different places and people, which are all in some way connected to Alice's con.
Ein Film, der unseren Alltag im urbanen Sicherheitsdispositiv so weit verdichtet, dass uns die gespiegelte Wirklichkeit wie absurdes Theater anmutet. Was es ja auch ist, mit diesen ungewöhnlich kadrierten Tableaus im Stadtraum, den Figuren ohne psychologische Tiefe und diesen Dialogen, die vor allem aus Passwörtern und Kennziffern, aus lückenhaften Erinnerungen und Angeboten von Telekommunikationsfirmen zusammengesetzt sind. Es ist hier gerade dieser experimentelle Zugriff, der in Dene wos guet geit einen gesteigerten Realitätseffekt erzeugt. Vielleicht kriegen wir unsere heutige Wirklichkeit auf diese Weise tatsächlich besser zu fassen als mit irgendwelchen Realismuskonzepten und anderen ästhetischen Verfahren aus dem vorletzten Jahrhundert.
Florian KellerDer Zürcher Cyril Schäublin, Absolvent der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, fügt in seinem Erstling strenge Bildsprache und absurdistischen Witz zu einem Porträt der Vereinzelung in der technologisch abgedeckten Stadt. Stilsicher verfremdet und unheimlich schweizerisch: ein seltener Wurf.
Pascal BlumSchäublin präsentiert hier ein radikales Erstlingswerk, in dem sich die zwischenmenschliche Kommunikation auf den Austausch über optimale Handyverträge und Krankenkassentarife reduziert hat. Manchmal hat vielleicht noch jemand einen Film gesehen, kann sich jedoch nicht mehr an den Titel erinnern und versucht sich dann in der Beschreibung eines halberinnerten, hanebüchenen Plots. Man steht an Zürcher Nicht-Orten, die durch konsequent desorientierende Kameraperspektiven unerkenntlich gemacht werden, und redet aneinander zwar nicht vorbei, doch kommuniziert letztlich in einer Sprache, die jeglichen Sinn verloren hat. Für den Zuschauer kann das anstrengend sein – nicht zuletzt, weil ihm das Lachen über dieses ad-absurdum-Führen der Schweizer Existenz mehr als einmal im Hals stecken bleibt. Doch Dene wos guet geit ist in seiner formalen Radikalität, für die es im jüngeren Schweizer Film nur wenige Beispiele gibt, grossartig. (Cinema 63, Auszug)
Dominic SchmidDans Those Who Are Fine, on retrouve le raffinement esthétique obsessionnel qui caractérisaient déjà les courts-métrages de Schäublin, et constituent clairement sa manière de nous guider dans les méandres obscurs de notre société hyper technologique, (apparemment) sûre et économiquement prospère (la société suisse est ici particulièrement visée).
Muriel Del DonGalleryo
Dene wos guet geit, der Kino-Erstling des Zürchers Cyril Schäublin über unseren vernetzten Alltag, ist der überraschendste Schweizer Spielfilm seit Jahren.
Es ist nur eine Kleinigkeit in diesem wunderbaren Filmdebüt. Nur ein kurzer Satz aus Dene wos guet geit des Zürchers Cyril Schäublin. Er fällt in einer Szene, in der ein Passant, der gerade zur Post geht, um sein Zalando-Paket zu retournieren, einen Polizisten in Demomontur fragt, weshalb es heute so viele Strassenkontrollen gebe. «E-Mail-Drohig, sisch wider öppis am Hauptbahnhof», antwortet der Polizist. Und das hätte man jetzt schon fast als Erklärung akzeptiert gehabt, es ist ja immer irgendwas am Hauptbahnhof. Aber dann fragt man sich trotzdem, wer eigentlich auf die Idee kommt, Bombendrohungen per E-Mail zu verschicken. Was, wenn die im Posteingang liegen bleiben?
Es ist bloss ein kleiner Satz in einem Film, der reich ist an durchdachtem Hintersinn, so reich wie schon lang kein Schweizer Spielfilm mehr. Nur schon, wie er Zürich zeigt: fast abstrakt, als eine Abfolge von wiedererkennbar Unerkennbarem. Fassaden und Pärke, die man zu kennen meint, aber trotzdem nicht zuordnen kann. Davor stehen: die Talking Heads der Stadt. Sie kleben am unteren Bildrand, darüber sammelt sich die Leere, und die Mauern und Bäume hinter ihnen wachsen in den Himmel. Die Menschen schaukeln hin und her und reden ernsthaft komisch über Dinge, mit denen sich Stadtmenschen von heute eben beschäftigen: Netzabdeckung, Krankenkassenprämie, Roamingkosten, Wi-Fi-Code.
So etwas wie eine Hauptfigur
Es ist quasi die Verkehrssprache fürs digital vernetzte Leben, in dem man trotzdem immer wieder mit erschreckenden Versorgungslücken kämpft. Und einerseits hat man sich da ein wenig voneinander entfremdet, streicheln die Polizisten, Krankenpfleger und Bankiers, mit denen Schäublin seine leicht satirischen, aber äusserst liebevollen Tableaux vivants bestückt, ohne Unterbruch ihre Handys. Andererseits gibt es ja doch Momente, in denen man aufeinander zugeht. Jeder, dem es schon einmal passiert ist, dass er einem Fremden in Not einen Hotspot hat machen dürfen mit dem eigenen Smartphone, kennt dieses knisternde Gefühl der Verbundenheit; fast so, als könne man sich berühren.
Cyril Schäublin, geboren 1984 und ausgebildet an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin, hat keinen Film gedreht, der in erster Linie die Vereinzelung anklagen möchte. Er hat vielmehr den Blick eines Beobachters, der dem Alltag zuhört und sich fragt, wie wir uns durch die urbanen Nichtorte bewegen. Die Stromleitungen, die sich durch die Einstellungen ziehen, die Trams, die sie zerschneiden: alles Motive der Trennung. Und doch lassen sich Zugänge finden und Verbindungen herstellen, man muss dafür an der Sicherheitsschleuse die Hand mit dem Badge auflegen oder am Bankschalter den persönlichen Code hervorkramen. Er habe neun Stellen, sagt der Berater auf seine hilfreiche Art.
Manchmal öffnen sich sogar Zugänge zu den Herzen der Mitmenschen. So wie bei der Callcenter-Agentin Alice, die gelernt hat, wie man ein Festnetzangebot ohne Grundgebühren auf emotionale Art verkauft. Sie betätigt sich deshalb als Enkeltrickbetrügerin, ruft Betagte an und gibt vor, ihre Enkelin zu sein, die Geld benötigt. Die Alten sind oft gutgläubig, das weiss sie aus dem Callcenter.
Im antipsychologischen Kino von Cyril Schäublin wird die mysteriöse Alice zu so etwas wie einer Hauptfigur. Zwei Kriminalbeamte in Zivil nehmen die Fahndung auf, das könnte man allenfalls als einen Plot bezeichnen. Aber viel wichtiger sind die Verbindungen, die wir selber zwischen den Szenen ziehen, aus ihnen entsteht das absurdistische Panorama von Zürich. Weil Schäublin das Bekannte verfremdet, wirkt es unheimlich vertraut: So schweizerisch, auf so merkwürdig genaue Art, war es im Kino lange nicht mehr.
Schäublin war für Studienaufenthalte in Peking und Paris; in Berlin haben ihn James Benning und Lav Diaz beeindruckt, zwei grosse Statiker des Kinos. Seinen Erstling aber hat er mit Freunden in der Heimatstadt gedreht. Einige von ihnen sind bekannter, wie die Rapper Skor und EKR, andere sind zufällig Schauspieler, viele arbeiten als das, was sie im Film darstellen. «Die Figuren sprechen, wie sie auch sonst sprechen», erzählt der Regisseur.
Ihre Gespräche drehten sich um Dinge, über die sie leicht improvisieren könnten: «Die Krankenkasse, der Handyvertrag, das ist eine Sprache, die wir alle sprechen.» Und da es ja immer schön sei, wenn Menschen miteinander redeten, habe Schäublin diese Art zu sprechen zeigen wollen. Nicht zuletzt wegen der Komik. «Wenn ich meine Freunde am Telefon über Rechnungen eines Telefonanbieters quasseln höre, finde ich das immer ziemlich erheiternd.» Er habe die meisten deshalb gleich in seinem Film besetzt.
Die Vorarbeit war Recherche. Schäublin hat Demenztrainings im Altersheim und Kundenbetreuung am Bankschalter verfolgt, hat mit Betagten und Polizisten gesprochen. Das Callcenter gibt es wirklich, es steht in Altstetten. «Ich war mehrmals als Zuschauer im Bezirksgericht Zürich, um Betrugsfälle zu studieren. Mich faszinierte vor allem der Auftakt des Prozesses. Der Richter fragt den Angeklagten Persönliches über Kindheit, Familienverhältnisse und Zukunftspläne.» Auch seinen Film habe er so entwickeln wollen: nicht aus Innerlichkeit, sondern aus der Frage, wie das Umfeld sich auf Menschen auswirkt. Heute beherrsche die Fiktion die Welt, deshalb gehe es jetzt, so Schäublin mit einem Wort des Schriftstellers J. G. Ballard, um die Erfindung der Realität.
Der Bancomat schnappt zu
Auch in 70 knappen Minuten bleibt das Debüt klug und komplex – und formal eigensinnig dank Unbewegtheit und Perspektive. Schleusen und Schlitze werden zu Zeichen, der Abfallhai reisst sein Maul auf, der Bancomat schnappt zu. Songs und Filme werden vorgebrummt und nacherzählt, aber an die Titel kann sich niemand erinnern. Vielleicht, weil die Spektakelfilme und Popsongs sich so ähnlich geworden sind? Oder weil heute, im subjektiven Zugriff auf Kultur, die Verständigung zersplittert ist, weshalb man noch über die Flatrate reden kann, aber nicht mehr darüber, was sie beinhaltet?
Das Mani-Matter-Lied gibt dem Film den Titel, und auch wenn es gar nie vorkommt, zielt der Film auf die Güterverteilung. Auf den Feudalismus des Vererbens und die Trickbetrüger von oben und unten. Wobei sich auch da wieder Wege eröffnen, wenn Alice sozial aufsteigen will mit ihrem Pitching der Gefühle, aber natürlich nicht weit kommen kann dabei. So eine Vermögensverwaltung richtet sich eben an richtige Verbrecher.
Das Filmfestival Locarno hat Dene wos guet geit letztes Jahr in die Reihe Cineasti del Presente eingeladen. Vor allem die internationale Presse war hingerissen, aber auch das Publikum stand Schlange. «Eine ältere Frau sprach mich danach an: ‹Sie, haben Sie mir einen Hotspot?›», sagt Schäublin. Als Nächstes reist er ans Festival Rotterdam. Gewiss werden sich die Zuschauer auch dort in der existenziellen Frage wiedererkennen, ob eine weitere Person Zugriff hat aufs eigene Konto. Es sind Fragen, die sich die Menschen von heute immer wieder stellen. Zu ihrer eigenen Sicherheit und aus Schutz vor Betrügern.